Tagungsbericht

Fachtagung | Berlin | 14.04. - 15.04.2016

Am 14./15. April 2016 veranstaltete die Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag (DST) die Fachtagung „Flüchtlingsfamilien im Schatten der Hilfe? Geflüchtete minderjährige Kinder und Jugendliche und ihre Familien in Deutschland“ im Centre Français in Berlin.

Es gab auf der Tagung eine sehr anregende und lebendige Diskussion darüber, wie Flüchtlingsfamilien vor und nach ihrer Anerkennung mit Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe erreicht, in die Gesellschaft aufgenommen und integriert werden können. Gerade über die quantitativ viel größere Gruppe weiß „man“ noch zu wenig: 90 Prozent der minderjährigen Flüchtlinge reisen begleitet ein. Diese Kinder und Jugendlichen und ihre Familien standen bisher im Schatten der Hilfe. Von nun an ginge es darum, zu verstehen, in welchen persönlichen Situationen sich diese befinden, um ihre Bedürfnisse wahrnehmen zu können. So beschrieb es Regina Offer, Hauptreferentin vom Deutschen Städtetag, in ihrer Eröffnungsrede.

Am ersten Veranstaltungstag ging es zunächst um die Situation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften und um Fragen nach der Gewährleistung der Kinderrechte und des Kindeswohls. Am zweiten Tag standen die Themen Integration, nachhaltige und gesamtstädtische Kooperationsstrukturen und Stadtentwicklungskonzepte im Mittelpunkt. Insbesondere die Diskussion über die Anforderungen im Rahmen einer integrierten Stadtentwicklungsplanung sowie der Sozial- und Jugendhilfeplanung war sehr zukunftsorientiert. Es wurden wichtige Perspektiven der Integration wie z. B. Wohnen, Bildung, Ausbildung/Arbeit, Gesundheit, Kinderschutz und auch die Ressourcen, die Flüchtlingsfamilien mitbringen, erörtert. Allgemein ging es darum, die Themen Zuwanderung und Integration dauerhaft als zentrale Elemente nachhaltiger, integrierter Stadtplanung mitzudenken, wie es Prof. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik, zu Beginn der Tagung formulierte.
Die Tagung wurde moderiert von Johannes Horn, Leiter des Jugendamtes Düsseldorf und Vorsitzender der Konferenz der Leiter/innen der Großstadtjugendämter des DST, der viele Erfahrungswerte aus seiner eigenen Praxis in diese Tagung einbrachte.

In erster Linie Kinder - Situation von begleiteten Kindern und Jugendlichen in Flüchtlingsunterkünften

Dr. Sebastian Sedlmayr, Leiter der Abteilung Kinderrechte und Bildung bei UNICEF Deutschland, erläuterte die wichtigsten Ergebnisse verschiedener Studien seiner Organisation. Unter anderem mache es „einen großen Unterschied für die Familien und entsprechend auch für die Kinder und Jugendlichen aus, wo in Deutschland sie landen.“ Ob sie in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden oder aber in einer Wohnung, ob es vor Ort eine gute Zusammenarbeit beteiligter Akteure bei der Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Integration gibt und weitere gute Startbedingungen, beeinflusst ihre Situation erheblich. In diesem Sinne sei der Königsteiner Schlüssel so etwas wie ein kleines Glücksrad. Außerdem beschrieb Herr Sedlmayr, dass die Eltern oft als Bezugspersonen für die Kinder ausfallen, „entweder weil sie Traumatisierungen mit sich tragen oder aber (…) weil sie die Sprache nicht beherrschen und weil sie keine Mittel haben, um für ihre Kinder in der Situation zu sorgen.“ Dies hätte zur Folge, dass Kinder und Eltern oft die Rollen tauschen.

Er plädierte schließlich dafür, von dem Begriff „Flüchtlingskind“ wegzukommen, weil sonst die Gefahr bestehe, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Sie seien in erster Linie Kinder. In diesem Sinne setzte er sich auch für die Stärkung der Kinderrechte und die Aufnahme dieser in das Grundgesetz ein.

Unbegleitete und begleitete minderjährige Flüchtlinge - Lebenslagen, Bedarfe, Erfahrungen und Perspektiven aus Sicht der Jugendlichen

Claudia Lechner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsches Jugendinstitut München e.V. (DJI), stellte fest, dass es in Bezug auf die Lebenswelt und die Alltagserfahrungen junger (begleiteter und unbegleiteter) Flüchtlinge kaum empirische Studien gibt und hier erheblicher Forschungsbedarf besteht. Das DJI arbeitet deshalb derzeit an einer Studie, die die Perspektiven junger Flüchtlinge in den Blick nimmt, ihre subjektiven Erfahrungen und die Wahrnehmung ihrer eigenen Situation. Hierzu stellte Frau Lechner drei Fallbeispiele und erste Zwischenergebnisse vor. Sie erläuterte einige zentrale Aspekte, die zum Verständnis der Lebenslage sehr wichtig seien. Die bisher befragten Jugendlichen hätten z.B. alle gemeinsam:

  • die Sorge um die (Teil-)Familie im Herkunftsland sowie
  • den Wunsch nach Bezugspersonen,
  • dass der Besuch einer Schule sowie die Absolvierung von Deutschkursen und einer Ausbildung für sie von großer Bedeutung ist,
  • verzögerte Integrationschancen aufgrund von Unbeständigkeit (Wechsel von Unterkünften und Betreuungspersonen),
  • fehlende Begegnungsräume mit deutschen Jugendlichen,
  • eine große Unsicherheit im Hinblick auf ihre Perspektiven.

Die Veröffentlichung des Abschlussberichtes über die Ergebnisse des Projektes ist für Ende 2016 vorgesehen.

Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingskindern und ihren Familien/Sozialverbünden -
Wege, Probleme, Erfolge und Herausforderungen in der Praxis

Bevor es am ersten Tag in die Arbeitsgruppen ging, stellten Carolin Krause, Leiterin des Jugendamtes Köln, und Ilda Kolenda, Arbeitsgebietsleiterin, Flüchtlingseinrichtungen Phoenixhaus/Frenzelschule, Diakonisches Werk Dortmund und Lünen gGmbH, ihre Erfahrungen mit der Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften vor.

Frau Krause beschrieb, welche Maßnahmen das Jugendamt Köln gemeinsam mit den Trägern in die Wege geleitet hat. Als erste Maßnahmen seien an dieser Stelle die Aufstockung des Interkulturellen Dienstes oder die Umsetzung von stadtweit 73 Mikro-Projekten im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Zeitraum von September bis Dezember 2015 genannt. Außerdem erläuterte Frau Krause die Eckpunkte eines Stufenplanes für die Integration von Flüchtlingsfamilien in Köln, an dessen Fortschreibung neben dem Jugendamt und verschiedenen Trägern das Wohnungsamt, Amt für Schulentwicklung, Gesundheitsamt u.a. beteiligt sind. In ihm sollen Lösungen von der Notunterkunft bis zum Einzug in eine feste Wohnung niedergeschrieben werden. Auch Brückenangebote (z.B. Eltern-Kind-Gruppen, mobile Spielangebote etc.) hätten eine wichtige integrative Funktion, ebenso wie vielfältige Sportangebote in den Gemeinschaftsunterkünften. Bewährt haben sich auch sogenannte „Stadtrallyes“, bei denen Eltern und Kinder durch die Stadt „wandern“ und diese in ihrer Sprache erklärt bekommen. Natürlich gebe es auch noch viele Herausforderungen, für die nach Lösungen gesucht werde, z.B. wie Flüchtlingskinder besser beim Übergang von der Schule in den Beruf unterstützt werden können. Neben der momentanen Herausforderung sei die Integration von Flüchtlingsfamilien auch eine große Chance und die Kinder- und Jugendhilfe sei genau da gefordert, wo sie gut ist, wenn sie die notwendigen Ressourcen dafür erhält.

Frau Kolenda berichtete mit viel Empathie aus ihrer alltäglichen Praxis als Leiterin von zwei Gemeinschaftsunterkünften in einem Dortmunder Stadtteil. Sie ging auf die Organisation des Aufnahmeverfahrens, den Zugang zu Kita, Schule und Gesundheitssystem sowie auf die Aspekte häusliche Gewalt, Kinderschutz, Erziehung, Verhütung, Integration von Müttern/Frauen und weitere Punkte ein. Schwierigkeiten bereite u.a. im Alltag, dass Schulen oftmals keine Alphabetisierung anbieten, Umzüge in soziale Brennpunkte in der Stadt mit langen Wartelisten für Kita und Schule verbunden sind, der Impfstatus oftmals schwierig zu klären ist und übertragbare Krankheiten ein Tabu sind, häusliche Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften über die Kinder kommuniziert wird und es unterschiedliches Erziehungsverhalten in Bezug auf die Aufsichtspflicht der Eltern gibt. Aus den geschilderten Erfahrungen schlussfolgerte sie, dass Flüchtlingsfamilien in der Anfangszeit sehr viel Unterstützung und persönliche Zuwendung brauchen, die insbesondere auch über Patenschaften geleistet werden können.

Teilhabe von Flüchtlingskindern entlang ihrer Lebensbiografien sichern!
Vorstellung von Praxisbeispielen + Diskussion in Arbeitsgruppen

Folgende Arbeitsgruppen konnten besucht werden:

  • Niedrigschwellige Angebote in Einrichtungen/ Beratung und Frühe Hilfen
  • Kindertagesbetreuung und Kindertagespflege. Qualitative Anforderungen, Vorstellung interessanter Betreuungsmodelle aus anderen Kommunen als „Ideenpool“
  • Bildungssysteme (Schule + Ausbildung) – Sprachkurse, Willkommensklassen, Integration in Regelsysteme, Vorstellung des Leitfadens zur Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in die Kindertagesförderung und die Schule
  • Gesundheitsleistungen – Vorsorge und Behandlung von Kinder- und Infektionskrankheiten und chronisch Kranken sowie bei Schwangeren und der Therapie von Traumata
  • Kinderschutz – vom ersten Tag an! Zugang des ASD zu Flüchtlingsfamilien, nicht nur in Gemeinschaftsunterkünften, besondere Herausforderungen, Erfahrungswerte
  • Offene Kinder- und Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit/Ausbildung. Berufsorientierung, Berufswahlentscheidung, berufliche Integration geflüchteter junger Menschen.

Besonders nachgefragt waren die Themen „Kinderschutz“ und „Bildungssysteme“. Alle Inputs der Arbeitsgruppen wie auch die Fachbeiträge im Plenum sind in der Tagungsdokumentation nachzulesen. Sie wird im III. Quartal 2016 erscheinen.

Der Aktionsplan des Jugendamtes München und die Frage, wie lange eine Familie eine Flüchtlingsfamilie ist

Markus Schön, Kommissarischer Leiter des Jugendamtes München, stellte den Aktionsplan des Stadtjugendamtes und bereits umgesetzte Projekte, Einzelmaßnahmen und Vernetzungsaktivitäten vor und sprach dabei auch über „Haltungsfragen“. Der Aktionsplan wird als freiwillige Leistung der Kommune finanziert und als wesentliches Integrationselement begriffen. Die Hauptaufgabe sei vorrangig, einen Zugang zu bestehenden Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe und des Bildungssystems im Sozialraum herzustellen sowie die Etablierung und Verknüpfung neuer, rasch umzusetzender Projekte. Im Rahmen dessen seien mittlerweile viele gute Projekte z.B. auf dem Gelände der bekannten Bayernkaserne entstanden. Eines von vielen sei das „Family-House“, das im Juli 2015 eröffnet wurde und vormittags schulanaloge Angebote für Kinder und Jugendliche sowie Betreuungs- und Spielangebote für kleine Kinder anbiete. Nachmittags gibt es dort Spielgruppen, Ausflüge und Aktionen für Familien. Als Beispiel guter Vernetzungspraxis beschrieb Herr Schön das Projekt InIko (Initiieren & koordinieren), bei dem die Mitarbeiter/innen direkt in die Unterkünfte gehen, Bedarfe abfragen und diese mit offenen Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Familienzentren und Nachbarschaftstreffs im Sozialraum vernetzen.

Über die Haltung aller beteiligten Akteure in München ließe sich die Frage, wie lange eine Familie eine Flüchtlingsfamilie ist, am besten beantworten. Familien mit Kindern, die nach München kommen um dort zu leben, werden als Münchner Familien angesehen. Man differenziere nicht nach der Bleibeperspektive einer Familie, sondern versuche bei jeder einzelnen Familie, auf ihre Bedürfnisse, den Unterstützungsbedarf und die Ressourcen zu schauen.

Integration als Anforderung an eine integrierte Stadtentwicklungsplanung

Prof. Dr. Ingrid Breckner, Stadtsoziologin, HafenCity-Universität, Hamburg, erläuterte, dass die Aufgabe der Stadtplanung bei der Integration von geflüchteten unbegleiteten und begleiteten Minderjährigen und ihren Familien im Grunde darin bestehe, „die Bedingungen für die Unterbringung dieser Menschen herzustellen.“ Um diese Aufgabe zu bewältigen, müsse man allerdings so einige Hürden überwinden, wie:

  • unzureichende Kooperation zwischen verschiedenen Ressorts,
  • Nachbarschaftskonflikte, Unverständnis, Protesthaltungen,
  • fehlen von Daten (z.B. Daten nach dem Königsteiner Schlüssel nur auf Ebene der Bundesländer, nicht auf Ebene der Städte/Kommunen) und
  • unzureichende Förderung von integrierter Praxisforschung.

Aus diesen Gründen, so Frau Breckner, müsse zum einen interdisziplinär „ein Dialog darüber geführt werden, unter welchen Bedingungen an welcher Stelle mit welcher Verträglichkeit für kurz-, mittel- und längerfristige Zeit überhaupt etwas bereitgestellt werden kann.“ Zum anderen müsse man den Flüchtlingen die Möglichkeit geben, den Ort, an dem sie leben werden, mit all seinen Möglichkeiten kennenzulernen und ihn selbst mitzugestalten. Allgemein ginge es um eine gute Steuerung des gesamten Prozesses und die Nutzung von Ressourcen. Außerdem sei nicht zu vergessen, den Diskurs um die Schaffung von Unterkünften zu versachlichen und Protesthaltungen abzuschwächen. Nicht zuletzt gebe es noch viele offene Fragen, mit denen sich vor allem Stadtplaner/innen beschäftigen müssten, wie z.B. ob Quartiere, die nur aus Flüchtlingen bestehen, ein generelles Problem darstellen, oder aber ob leerstehende Bürobauten, Schulen etc. in Wohnkapazitäten umgewandelt werden können. Im Quartiersmanagement seien neue individuelle Konzepte für den jeweiligen Standort notwendig. Wichtig sei auch, für und mit den Flüchtlingen urbane Kompetenz zu entwickeln, da viele aus ländlichen Regionen kommen.

Anforderungen an eine integrierte Sozial-, Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung

Stadträtin Daniela Schneckenburger, Dezernentin des Kinder- und Jugendbereiches der Stadt Dortmund, und Tilmann Fuchs, Dezernent für das Schul-, Kultur- und Sportamt, Jugendamt, Sozialamt des Landkreises Steinfurt, stellten aus Sicht einer Stadt und eines Landkreises die Anforderungen an eine integrierte Planung sowie erste eigene Erfahrungen damit vor.

Herr Fuchs stellte zunächst fest, dass Planungsprozesse nicht gestaltet werden können, solange es kein gemeinsames Verständnis davon gibt, wie Integration auf lange Sicht funktionieren soll. Darüber müssten sich alle Beteiligten austauschen und einig werden. Eine seiner Thesen lautet, dass es weniger darum geht, Spezialangebote zu schaffen, „als darum, Regelangebote zugänglich zu machen.“ Dabei müssten kulturelle Besonderheiten sowie Flucht- und Gewalterfahrungen berücksichtigt werden. Sowohl Herr Fuchs als auch Frau Schneckenburger setzen auf handlungsfeldübergreifende Lösungen für die Integration von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Beide konnten von ersten positiven Erfahrungen und erfolgreichen Praxisbeispielen berichten. Für beide gelte der Grundsatz, den Frau Schneckenburger für die Jugendhilfe in Dortmund formuliert hat: „Zugewanderte und geflüchtete Jugendliche sind nicht „Jugendliche 2. Klasse“! (…) Wir haben für diese Jugendlichen wie für alle anderen die Integration in Bildung und Beruf sowie die Übergänge in Ausbildung und Beruf zu ermöglichen. “ Dafür brauche es zunächst flexible Angebote und Brückenangebote, gerade auch in Bezug auf die Kindertagesbetreuung, außerdem Sprachkurse, schnelle Zugänge ins Schulsystem und eine Qualifizierung für den Übergang Schule - Beruf. Zudem sind zielgruppengenaue Patenschaftskonzepte für unbegleitete minderjährige Ausländer, junge volljährige Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien erforderlich, da es auch einen großen Bedarf an psychosozialer Betreuung und Beratung gebe.

 

Im weiteren Verlauf der Tagung fanden zwei inhaltliche Foren zu den Themen „Hilfe für junge volljährige Flüchtlinge - § 41 SGB VIII“ und „Ehrenamtliches Engagement, Patenschaften, Netzwerke für Flüchtlingsfamilien und ihre Kinder“ statt sowie drei Runde Tische zu Flüchtlingsfamilien als offener Erfahrungsaustausch in Kleingruppen, der von kommunalen Praktikerinnen und Praktikern moderiert wurde.

Exemplarisch: Hilfe für junge volljährige Flüchtlinge

Dr. Andreas Dexheimer, Geschäftsstellenleiter der Diakonie - Jugendhilfe Oberbayern, gestaltete inhaltlich das auf der Tagung am meisten nachgefragten Forum. Er stellte in seinem Input kritisch zur Diskussion, dass viele Kommunen die gesetzliche Regelung, jungen Volljährigen zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr weiterhin sozialpädagogische Betreuung und eine altersgerechte Unterbringung zu gewähren, nicht umsetzen. „Der Staat, die Kommune investiert erheblich in die Inobhutnahme eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings. Er wird dann in einer Heimeinrichtung untergebracht, dort betreut. Und mit dem 18. Lebensjahr wird die Hilfe eingestellt. Mit dem 18. Lebensjahr zieht der junge Mensch aus der Heimerziehung in die Gemeinschaftsunterkunft für Erwachsene und bekommt keine weitergehende Hilfe. Und es passiert gleichzeitig, dass junge Volljährige hier ankommen, die überhaupt keine weitergehende Unterstützung kriegen, die behandelt werden wie jeder 30-, 35- oder 40-Jährige.“ Hier gebe es dringenden Änderungsbedarf.

Qualitative Anforderungen an das Bildungssystem zur Teilhabe und Integration von Flüchtlingskindern

Dr. Dieter Rossmeissl, Referent für Bildung, Kultur und Jugend, Berufsmäßiger Stadtrat, Erlangen, gab in seinem Abschlussvortrag verschiedene Fragen zu bedenken, wie z.B.:

  • Welche Bildungsinhalte und Kompetenzen müssen wir den Neuankömmlingen vermitteln, damit sie ihren Platz in unserer Gesellschaft und unserem (Werte-)System finden können?
  • Welche Kompetenzen müssen wir mitbringen oder entwickeln, um die Diversität der Ankömmlinge für sie selbst, aber auch für unsere eigene Gesellschaft nutzbar machen zu können?

Er lieferte zu diesen und weiteren Fragen Anregungen und Denkanstöße und machte weitere Vorschläge, z.B. Migranten aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge als Sprach- und Kulturvermittler zwischen Kindern und pädagogischem Personal in Kita und Schule einzubinden. Insbesondere Schule sei in diesem Kontext nicht nur als Lern-, sondern mehr denn je als Lebensort zu verstehen. Es werde auch eine „Renaissance“ der Jugendberufshilfe und der Jugendsozialarbeit geben. Die Qualität der Bildungsangebote hänge davon ab, wie wir Diversität verstehen und vermitteln.

Vielfältige Hilfen zur Integration notwendig

Es wurden auf der Tagung noch viele weitere Fragen und Themen lösungsorientiert erörtert, die ebenfalls in der Dokumentation zur Tagung nachzulesen sein werden. Immer wieder war aus unterschiedlichen Beiträgen die Erfahrung zu hören, dass den Flüchtlingsfamilien unsere Angebote, Strukturen, Lebens-, Denk- und Verhaltensweisen wirklich verständlich gemacht werden müssen, damit sie ihren Platz in unserer Gesellschaft finden und heimisch werden können. Dafür sind individuelle Hilfen ein entscheidender Faktor. Gerade in ihrer Anfangszeit brauchen Flüchtlingsfamilien in Deutschland sehr viel Unterstützung und dürfen nicht länger im Schatten der Hilfe stehen.

 

Jessica Schneider,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
im Deutschen Institut für Urbanistik
Kontakt:

Kerstin Landua,
Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
im Deutschen Institut für Urbanistik
Kontakt: