Steigende Fallzahlen oder Stabilisierung auf hohem Niveau und kein Ende in Sicht?
Eine Dynamik, die das Feld überrollt, aber keine wirklich neuen Handlungskonzepte?
Eine Fachpraxis, die (teilweise) überfordert ist und (weiter) nach Antworten sucht?
Gefühlte Realität oder empirisch belegt?
Dr. Jens Pothmann, Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, Technische Universität Dortmund, referierte zum Thema: „Entwicklung der Fallzahlen der Inobhutnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe und Maßnahmen der Familiengerichte bei Gefährdungen des Kindeswohls“. Er stellte fest, dass noch nie so viele Kinder in Pflegefamilien untergebracht und betreut wurden wie derzeit. Dies sei Anfang der 1990er-Jahre kein sehr wahrscheinliches Szenario gewesen. Seit 2005 war ein erheblicher Anstieg der Inobhutnahme von 26.000 Kindern und Jugendlichen auf 48.000 im Jahr 2014 zu verzeichnen, also fast eine Verdopplung der Fallzahlen. Die Inobhutnahmen erfolgten dabei in größerem Umfang wegen festgestellter Gefährdungslagen von Kindern und weniger auf deren eigenen Wunsch. Die Bedeutung der Inobhutnahme wachse mit dem Alter. Hier sind dann eher Jugendliche im Fokus und dabei deutlich mehr Jungen.
Gute Gründe, Kinder in Obhut zu nehmen?
Barbara Kiefl, Leiterin der Abteilung Familie und Jugend, Jugendamt Stuttgart, sagte, dass in ihrer Stadt die Fallzahlen der Inobhutnahme vom Trend abweichen und sich für die Stuttgarter Fachkräfte weniger die Frage stelle, was Gründe für eine Inobhutnahme sind, sondern was es für gute präventive Fachkonzepte gibt, damit dieser Schritt möglichst vermeidbar ist. Diese stellte Frau Kiefl vor und nannte neben dem Fachkonzept der Sozialraumorientierung die intensive Elternarbeit, den Familienrat, Pflegebereitschaftsfamilien, das Kindeschutzteam in der Kinderklinik, kontinuierliche Fortbildungen sowie die seit über 10 Jahren bestehenden Beratungszentren mit multidisziplinären Teams. Wichtig sei vor allem, dass die Familien den sozialpädagogischen Fachkräften vertrauen und das Prinzip der Verantwortungsgemeinschaft gelte, denn im Falle einer Krise hätten alle eine Krise, nicht nur die betroffene Familie und deren Kinder.
In guter Obhut? Ist das so?
Einen wissenschaftlichen Blick auf die derzeitige Situation der Inobhutnahme richtete Dr. Stefan Rücker, Forschungsgruppe Petra, Schlüchtern. Er stellte fest, dass die Inobhutnahmeeinrichtung kein Lebensort für Kinder ist und präsentierte in diesem Kontext eigene Forschungsergebnisse. Er befragte Kinder und Jugendliche, ob sie sich an ihre Gefühle in der Inobhutnahme-Einrichtung erinnern. Empirische Befunde zum Erleben dieser Kinder sind, dass Gefühle wie Traurigkeit, Hilflosigkeit und Angst dominieren. Leider gebe es kaum ein Screening oder Checklisten zur Erkennung dieser Belastungsfaktoren bei Kinder und Jugendlichen während der Inobhutnahme.
Mit dem Blick einer Familienrichterin …
Dr. Jessica Kriewald, Richterin am Amtsgericht Frankfurt am Main, sprach darüber, welchen Handlungsbedarf es aus Sicht ihrer Profession gibt. Als wichtigste Voraussetzung nannte sie die Verantwortungsgemeinschaft von Jugendamt und Gericht, deren oberstes Ziel ein effektiver Kinderschutz ist. Denn: Das Jugendamt sei wichtigster Tatsachenlieferant, um eine gute Entscheidung im Interesse des Kindes zu treffen.
Aus dem Inhalt
Vorwort
KERSTIN LANDUA, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin
Fachvorträge
Gefühlte Realität oder empirisch belegt?
Entwicklung der Fallzahlen der Inobhutnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe
DR. JENS POTHMANN, Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut/Technische Universität Dortmund
Was veranlasst Jugendämter, Kinder in Obhut zu nehmen?
Stellungnahme eines Jugendamtes
BARBARA KIEFL, Beratungszentrum Jugend und Familie Bad Cannstadt, Jugendamt Stuttgart
In guter Obhut? Ist das so?
Ein wissenschaftlicher Blick auf die derzeitige Situation in der Inobhutnahme
DR. STEFAN RÜCKER, Forschungsgruppe PETRA, Schlüchtern
§ 42a SGB VIII - Vorläufige Inobhutnahme von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach Einreise. Was sieht der Gesetzgeber vor? Wie geht die Praxis (bisher) damit um?
CAROLINE RAPP, Abteilung Unbegleitete Minderjährige, Jugendamt der Landeshauptstadt München;
DR. JÜRGEN WURST, Wirtschaftliche Jugendhilfe, Jugendamt der Landeshauptstadt München
Blick einer Familienrichterin auf die Praxis der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen. Welchen Handlungsbedarf gibt es aus familienrichtlicher Sicht?
DR. JESSICA KRIEWALD, Amtsgericht – Familiengericht, Frankfurt am Main
Arbeitsgruppen mit Vorstellung von Best Practice und neuen Ansätzen
Arbeitsgruppe „Task Force ‚Inobhutnahme‘ - Wenn am Wochenende oder nachts was passiert …“
SYLVIA EGELKAMP, Region Hörstel, Region Ibbenbüren und Region Rheine, Evangelische Jugendhilfe Münsterland;
PETER MIDDENDORF, Region Hörstel und Region Ibbenbüren, Evangelische Jugendhilfe Münsterland
Arbeitsgruppe „‘Kinderkrise‘ - Inobhutnahme von Kleinstkindern“
NIKI SAMARA, KiliLe - Kinder lernen Leben gGmbH, Berlin
Arbeitsgruppe „‘Krisenintervention‘ - Erkennen und Umgang mit Trauma und selbstschädigendem Verhalten von Kindern und Jugendlichen in der Inobhutnahmeeinrichtung / Partizipation“
DR. STEFAN RÜCKER, Forschungsgruppe PETRA, Schlüchtern
Arbeitsgruppe „Inobhutnahme von Flüchtlingskindern. Inobhutnahme, Altersfeststellung und Clearing bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA)“
STEPHAN WEISMANN, Sozialer Dienst für die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, Karlsruhe
Arbeitsgruppe „Kultur- und religionssensibler Umgang bei Inobhutnahme - Worauf muss der Notdienst vorbereitet sein?
ANKE SIEBERT, Team Kinder- und Jugendschutz, Jugend- und Sozialamt Frankfurt am Main
Literaturhinweise