Tagungsbericht
Was war im anders Juni als im April?
Diese Fachtagung der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik war eine Wiederholungstagung in bewährter Kooperation mit dem Deutschen Städtetag statt, weil das Interesse der Fachkräfte der öffentlichen und freien Jugendhilfe unvermindert groß war. Viele Städte an Knotenpunkten sind trotz einer großen Kooperationsbereitschaft und Unterstützung öffentlicher und freier Träger und großer Solidarität aus der Bevölkerung am Rande ihrer Kapazitäten und suchen nach Lösungen. Andere Städte und Landkreise beginnen sich auf die bevorstehende Umverteilung der Flüchtlingskinder vorzubereiten.
Verena Göppert, Beigeordnete, Deutscher Städtetag, Berlin, sagte, der Deutsche Städtetag sehe zwei dringende Anliegen: Zum einen ein schnelles bzw. schnelleres Asylverfahren für Menschen ohne Bleibeperspektive, zum anderen eine schnelle Integration derer, die bleiben. Es reiche nicht, das Prinzip „satt und sicher“ zu erfüllen, neben medizinischer und psychologischer Betreuung sei vor allem die Integration in Schule und Ausbildung besonders wichtig. Wir brauchen ein Netzwerk von Hilfen, verlässliche Angebotsstrukturen in der Kinder- und Jugendhilfe und einen differenzierten Umgang damit, welche Jugendlichen welche Hilfen brauchen.
Keine Zeit, ein Kind zu sein?
Die Flucht nach Deutschland ist eine markante Veränderung der Lebenssituation, eine große Herausforderung, und das nicht nur in Bezug auf den Erwerb der Zweitsprache Deutsch. Oft gibt es einerseits einen Bedarf an therapeutischer Behandlung. Andererseits haben diese Jugendlichen während ihrer Flucht einen hohen Kompetenzgrad an Selbstständigkeit erworben, der mitunter Konfliktpotenzial mit „der“ Jugendhilfe mit sich bringen kann. Diese Jugendlichen bringen aber auch viele Kompetenzen mit. Wichtig ist es deshalb, Jugendliche nicht (zu) lange in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu lassen, in der nichts passiert, sondern sehr schnell Sprachkurse verbindlich anzubieten und sie in Regelschulen zu integrieren, damit sie „nicht ins Leere fallen“. Und sie auch nach dem 18. Lebensjahr nicht zu „vergessen“, da bei vielen weiterhin ein Hilfebedarf besteht. Für UMF ist wichtig, dass diese während einer Ausbildung Rechtsicherheit haben und eine Duldung für diese Zeit bekommen.
Uta Rieger, UNHCR Nürnberg, erklärte, dass ca. 50% der UMF einen Asylantrag stellen. Weitere Anträge würden evtl. deshalb nicht gestellt, weil sich die Vormünder mit diesen Verfahren nicht hinreichend auskennen. Jedoch haben sie für ihre UMF die volle Verantwortung in dieser Frage. Weiterbildungen auf diesem Feld seien sicherlich notwendig.
Aktuelle Situation + Gesetzentwurf zur Umverteilung
Der Gesetzentwurf lag nun zum Zeitpunkt dieser Tagung vor und es konnte detaillierter und konkreter als beim ersten Mal diskutiert werden. Die Praxis hat noch drängender als bisher auf bereits vorhandene Probleme einer jugendhilfegerechten Unterbringung und Versorgung der UMF aufmerksam gemacht. Im Plenum stellte sich die Frage, ob die gegenwärtigen und prognostizierten Zugangszahlen noch zu bewältigen und ohne neue Gefährdungslagen zu schaffen sind. Das Einstellen auf die Situation der Umverteilung geschehe mancherorts langsam. Es sei aber strategisch nötig, sich HEUTE darauf einzustellen, sonst werde es vielleicht erhebliche Verteilungskämpfe in den Kommunen geben (Kita, Schulen, Flüchtlingsheime). Dies betonte auch immer wieder Dr. Herbert Wiedermann, Abteilungsleiter, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Hamburg, der diese Wiederholungstagung mit moderierte.
Darüber hinaus wurden auch folgende Aspekte diskutiert:
- Wie Regionen mit Ressourcen schnell fit machen für die Aufnahme von UMF?
- Wie binden wir Zivilgesellschaft ein?
- Wann ist der Tag „X“ für geordnete Verfahren?
- Wie bereiten wir Arbeitgeber auf die Öffnung ihrer Unternehmen vor?
- Wie kann man Herkunft und Zukunft von UMF miteinander in Verbindung bringen?
Viele Fragen in diesem Kontext sind noch offen, z.B. diese:
- Wer hat das Recht auf was? Der Umgang mit Flüchtlingen ist auch ein Spiegel der Gesellschaft.
- Wie ist die Qualität der Inobhutnahme?
- Wie kann ein echtes Aufnahmekonzept aussehen, das nicht „nur“ ein Notfallplan ist?
- Was geht vor? Schutz oder Kosten? Wegen Kosten Schutzstandards absenken?
- ….
Beginnt JETZT! War sich die Expertencommunity einig …
Auch wenn noch viele Fragen offen sind, es ist wichtig, dass die Kinder- und Jugendhilfe diesen Gestaltungsauftrag annimmt. Deshalb brauchen wir weiter konstruktive Debatten, kreativen Erfahrungsaustausch und vor allem flexible Lösungsansätze!
Kerstin Landua
Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
im Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin
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